Vom Modell-LKW zum tonnenschweren Truck - ein Gastbeitrag von Ingo Herbst

Das Forschungsprojekt TWIN4TRUCKS zeichnet sich durch die vertrauensvolle und produktive Zusammenarbeit der einzelnen Konsortialpartner aus. Was nun seinen Weg in die industrielle Praxis findet, ist auch das Ergebnis des langen Forschungsprozesses der SmartFactory-KL in ihrem Lab in Kaiserslautern. Ingo Herbst blickt in seinem Gastbeitrag auf die Entwicklung zurück.

Für einen Geschichtenerzähler wie mich, denn nichts anderes sind die Verantwortlichen von Kommunikationsabteilungen, ist die Story genial. Denn es passiert nicht oft, dass Wissenschaftler:innen eine Idee haben, eine Forschungsanlage bauen, und nach kurzer Zeit in einer Fabrikhalle stehen, um dort zu zeigen, dass das alles, was sie erdacht und erforscht haben, auch in der Realität funktioniert.

Aber genau so war es bei uns in der SmartFactory-KL mit dem Projekt TWIN4TRUCKS.

Als wir 2021 mit dem Ausbau unseres Production Level 4-Ökosystems an mehreren Standorten begannen, stellte sich wieder einmal die Frage nach dem Beispielprodukt. Das ist in unserem Fall nicht banal. Wir wollen zwar zeigen, wie in den nächsten 5 bis 15 Jahren auf dem Shopfloor produziert werden kann, aber das im Prozess gefertigte Beispielprodukt rückt doch immer wieder in den Mittelpunkt der Wahrnehmung. Ob wir wollen, oder nicht. Dabei ist es doch nur Mittel zum Zweck. So stellten wir in der ersten Ausbaustufe unserer Shared Production Kaiserslautern auf unserem ersten Production Level 4-Demonstrator (heute Produktionsinsel_JAVA) einen datenbetankten USB-Stick aus Noppensteinen her. Das führte vereinzelt zu Nachfragen, warum wir nun Legosteine montieren, das wäre doch etwas banal für uns …

Genau das sollte uns nicht noch einmal passieren.

Anforderungen an das Beispielprodukt

Für die nächste Ausbaustufe musste ein anderen Beispielprodukt gefunden werden. Zuerst sammelten wir Kriterien dafür.

„Es sollte ausbaubar sein, Variantenvielfalt ermöglichen, zum Spielen anregen, optisch etwas hermachen, aus dem Alltag stammen, nicht negativ besetzt sein und eine gewisse Druckfläche für Logos bieten.“

Die Liste der Ideen wurde lang, die Emotionen wogten in den Besprechungen hin und her.

„Es gab viele Ideen: Eine Kaffeetasse (zu wenige Ausbaustufen), einen Stifthalter (Stifte werden nur noch selten benutzt), ein Vogelhäuschen (Holzverarbeitung ist zu aufwändig), Tierpark (zu verspielt), Designlöffel (unbrauchbar), Namensschild (zu simpel).“

Plötzlich poppte der Modell-LKW in der Diskussion auf. Es gibt Momente, da weiß man: das passt. Das war so einer. Ein LKW hat alles. Umgehend wurde mehrere Truckvarianten entworfen, mit Führerhaus, Auflieger, Achsen, Blinklichtern und Rädern. 2021 bauten wir die Produktionsinsel_KUBA, die den kleinen LKW aus Baugruppen herstellte. Parallel entstand die Produktionsinsel_MILOS an der Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU), die gefräste Aufliegervarianten zulieferte. Beide Produktionsinseln arbeiten im Datenraum Gaia-X als skillbasierte Shared Production zusammen. Im Mai 2022 standen wir damit auf der Hannover Messe.

Die Entstehung des Projektes TWIN4TRUCKS

Manche Zusammenhänge und Zufälle sind aus der Retrospektive nicht mehr zu entwirren. Jedenfalls kam es durch eine Verknüpfung glücklicher Zufälle zu einem Zusammentreffen zwischen uns und der Daimler Truck AG (DTAG). Das Anliegen der LKW-Bauer war eine Optimierung der Produktion in Wörth durch das automatisierte Lesen von Daten und deren Auswertung. Es bedurfte weniger Meetings um festzustellen: wir können zusammenarbeiten. Als Ziel wurde die Entwicklung eines Digital Foundation Layers (DFL) formuliert, der sich wie ein roter Faden durch den Fertigungsprozess zieht. Dabei soll eine Analyseplattform zum Einsatz kommen, die durchgängig die Vorteile des Cloud-Computing mit den Vorteilen des dezentralen Edge-Computing kombiniert. Im Mittelpunkt stehen digitale Zwillinge und Softwaredienstleistungen.

Dr. Ingo Herbst, Pressesprecher der SmartFactory-KL, verantwortet bei TWIN4TRUCKS den Bereich der Außenkommunikation. Foto: Alexander Sell.

Vom Labor in die Fabrik

Letztendlich ist der größten Nutzfahrzeughersteller der Welt seit dem 1.September 2022 Konsortialführer des Förderprojektes TWIN4TRUCKS (T4T). Der Produktionsstandort in Wörth dient als praktische Arbeitsumgebung, um die neuen Technologien zu erproben. Unter den Konsortialpartnern sind die Aufgaben aufgeteilt:

  • Die SF-KL und Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) verantworten die technologische Entwicklungsrichtung. Dabei wird das Production Level 4-Ökosystem der SF-KL wird als Testbed für Montagearbeiten und als Prüfplatz genutzt. Das DFKI arbeitet mit Machine Learning und Digitalen Zwillingen an der Fusion heterogener Datenquellen. Dazu kommen Feldtests mit Ultrabreitband-Technologie, 5G und 6G.
  • Der Digitalisierungsdienstleister Atos ist zuständig für den Datenaustausch über Gaia-X, die Qualitätssicherung durch KI-Methoden und das Umsetzungskonzept des DFL.
  • Infosys erarbeitet eine Netzwerkarchitektur, 5G-Netzwerke und Integrationsleistungen.Das Unternehmen PFALZKOM GmbH baut eine Regional Edge Cloud in Ihren Rechenzentren auf. Dazu kommen Gaia-X Umsetzung und Betriebskonzepte für sichere Netzwerke.

Es ist aktuell spannend zu sehen, wie die Wissenschaftler:innen mit Helmen durch die Fabrikhallen laufen und ihre Konzepte und Ideen praktisch mit den Arbeitenden vor Ort erproben. Hier führen Forschung und Anwendung produktiv zusammen, Technologietransfer in Höchstform. Parallel entsteht im Forschungslab in Kaiserslautern ein meterlanger Montag- und Prüfplatz aus schweren LKW-Rahmenlängsträgern, so dass die Werker:innen demnächst umgekehrt ihre Sicherheitsschuhe in die wissenschaftliche Umgebung setzen.

Die Geschichte des Modell-LKW

So kann ich nun die Geschichte eines kleinen Modell-LKW erzählen, der in kurzer Zeit zu einem Vorbild für die Produktion seiner tonnenschweren Brüder und Schwestern wurde. Dabei ist die Story noch lange nicht zu Ende. Insofern heißt es über die Beteiligten keinesfalls „Und wenn sie nicht gestorben sind …“, sondern unbedingt „Und wenn sie weiterhin den Sinn der Zusammenarbeit von Forschung und Praxis erkennen, dann sind sie mit ihren Köpfen und Händen noch immer auf dem Weg in die Produktion der Zukunft.“